Gefährdet Rentnerin die Sicherheit des Staates?

27. Januar 2024

Erklärung zum 52. Jahrestags des „Radikalenerlasses“

Im Mai 2013 hat Silvia Gingold Klage gegen das Hessische Landesamt für Verfassungsschutz erhoben. Mit der Klage wollte sie erreichen, dass die über sie gesammelten Daten gelöscht bzw. vernichtet werden und die Beobachtung durch den Geheimdienst eingestellt wird. Nun hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof entschieden, der Verfassungsschutz dürfe die heute 77-Jährige weiterhin beobachten, Daten über sie sammeln und somit ihre grundgesetzlich garantierten Freiheitsrechte einschränken. Für diesen Beschluss hat sich das Gericht sechs Jahre Zeit genommen.


Silvia Gingold erwägt, Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe einzulegen. Die Organisation in der Tradition der Verfolgten des Naziregimes, die VVN-BdA, bestärkt und ermutigt Silvia Gingold, diesen Schritt zu gehen. Die Verfolgtenorganisation ist selbst daran interessiert, dass dieser „Fall“ zugunsten der persönlichen Freiheitsrechte und gegen die Beobachtungspraxis des Geheimdienstes geklärt wird. Denn das Landesamt für Verfassungsschutz behauptet als Begründung für die Beobachtung Gingolds, die VVN-BdA werde als „linksextremistisch beobachtete Organisation bewertet“. Dies, obwohl die VVN-BdA in keinem Bericht von Verfassungsschutzbehörden erwähnt wird.
Die Lehrerin im Ruhestand und Tochter der jüdischen Widerstandskämpfer Ettie und Peter Gingold, steht aufgrund ihres antifaschistischen Engagements seit ihrer Jugend unter Beobachtung des Inlandsgeheimdienstes. Dieser weiß zu berichten, Silvia Gingold habe aus der Biografie ihres Vaters öffentlich gelesen. Als sie Klage erhob, war sie Vorstandsmitglied der hessischen VVN-BdA. „Wir wissen, neben Silvia Gingold werden weitere ehrenamtlich tätige Mitglieder unserer Organisation vom Verfassungsschutz bespitzelt, während heute doch antifaschistische Aktivitäten dringender denn je sind. Menschen sollten ermutigt werden, sich, wie Silvia Gingold, antifaschistisch zu engagieren, statt ihnen zu unterstellen, sie wären eine Gefahr für die freiheitlich-demokratische Grundordnung.“, erklärt Norbert Birkwald, Sprecher der der VVN-BdA in Hessen, der selbst „Beobachtungsobjekt“ des Geheimdienstes ist. „Es geht um die verfassungsmäßigen Freiheitsrechte unseres Mitglieds und den guten Ruf unserer Organisation.“
Die Verfolgtenorganisation erinnert daran, dass sich in diesen Tagen die Verabschiedung des „Radikalenerlasses“ vom 28. Januar 1972 zum 52. Mal jährt. Eine Rehabilitierung und Entschädigung der über dreitausend von Berufsverboten Betroffenen steht bis heute aus. Nach Schätzungen der Betroffenen und wissenschaftlichen Untersuchungen wurden, auf der Grundlage des „Radikalenerlasses“ über einhunderttausend junge Menschen bespitzelt. „Es wurde versucht, eine ganze Generation politisch einzuschüchtern. Willy Brandt hat der Demokratie damit einen Bärendienst erwiesen“, stellt Birkwald fest. Der damalige Bundeskanzler hat wenige Jahre später öffentlich eingeräumt, der „Radikalenerlass“ sei „ein Fehler“ gewesen.
Die VVN-BdA fordert Boris Rhein, den wiedergewählten Ministerpräsidenten des Landes Hessen auf, das Landesamt für Verfassungsschutz anzuweisen, die Bespitzelung von Antifaschisten, die schließlich die Grundwerte der Hessischen Verfassung und des Grundgesetzes verteidigen, einzustellen und die gespeicherten Daten zu vernichten. Damit könnte Silvia Gingold der Gang nach Karlsruhe erspart bleiben.

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