Hannelore Steffens
Hannelore Steffens (1925 bis 2019)
Hannelore Wolf wurde am 22. Juni 1925 in Frankfurt geboren. Ihre Eltern waren der Autosattler Johann (Hans) und Eleonore (Lore) Wolf, geborene Winkler. Nachdem ihre Eltern seit 1926 arbeitslos waren, entschlossen sie sich 1929 in die USA auszuwandern. Vom September 1931 bis Frühjahr 1932 besuchte Hannelore in den USA die Elemantary School.
Die Weltwirtschaftskrise machte ihre Eltern erneut arbeitslos. So ergriffen sie die Gelegenheit, machten aus der Not eine Tugend und bewarben sich zum Aufbau des Automobilwerks Nischni-Nowgorod, nahe Gorki in der Sowjetunion. Mit beitragen zu können zum Aufbau der Sowjetunion, war den Eltern ein Herzensanliegen. In Gorki besuchte Hannelore die englischsprachige Volksschule.
Im April 1933 fuhr Hannelore mit ihren Eltern nach Frankfurt. Sie machten sich nach der Machtübertragung an die Nazis große Sorgen um Hannelores Großeltern. Nach einer Woche Zugreise von Gorki am Frankfurter Hauptbahnhof angekommen, wurden sie von der SA empfangen, Pässe, Visa und Rückfahrkarten in die Sowjetunion wurden ihnen abgenommen. So wurde aus dem geplanten Familienbesuch ein Zwangsaufenthalt, verbunden mit der baldigen Illegalität Hannelores Eltern.
Bis 1937 besuchte Hannelore die Volksschule in Frankfurt. Getrennt von ihren Eltern, die in die Illegalität gehen mussten, wo sie Widerstand gegen das Naziregime leisteten, Lore im Saargebiet, Hans in der Schweiz, wohnte Hannelore zunächst bei den Wolfs, den Großeltern väterlicherseits, bis der Opa von den Nazis verfolgt und verhaftet wurde. So übernahmen die anderen Großeltern im Riederwald die Betreuung. Sie kümmerten sich liebevoll um ihre Enkelin, jedoch ständig in der Angst lebend, Hannelore könne irgendetwas über ihre Eltern ausplappern. Spätestens da war es mit einer unbeschwerten Kindheit vorbei.
Am 30. Januar 1937 flieht Vater Hans mit Hannelore in die Schweiz. Schon im März 1937 ist dieses kurze Schweizer Intermezzo vorbei. Über Basel und Genf fährt Hannelore mit dem Zug nach Paris, allein, da ist sie noch nicht mal 12 Jahre alt. In Paris hat die Mutter ein kleines Mansardenzimmer angemietet. Dort leben sie unter ärmlichsten Bedingungen.
Dieses Zusammenleben währte nur drei Tage. Welch herbe Enttäuschung für Hannelore und ihre Mutter. Die muss wieder in die Schweiz, ihre illegale Gruppe in Paris ist aufgeflogen. Hannelore kommt zunächst bei Familie Schreiner unter. Von dort geht es weiter in ein trotzkistisches Kinderheim, in dem sich Hannelore sehr wohl und geborgen fühlte.
Als kleines Mädchen viel es ihr leicht, die englische Sprache zu erlernen. Nun, in Paris, lernte sie in kürzester Zeit Französisch.
Im Frühjahr 1939 kommt die Mutter zurück nach Paris. An Hannelores 14. Geburtstag beziehen sie wieder das Mansardenzimmer.
Hannelore legt erfolgreich ihre Abschlussprüfung ab und besaß nun das „Certificat d’études primaires“. Sie gehörte zu den Klassenbesten. Hannelore geht weiter in die Robinson-Schule, wo sie einen Fortbildungskurs ablegen kann.
In dieser Zeit hilft Hannelore ihrer Mutter, illegale Flugschriften in Paris zu verteilen.
Dann am 30. August 1940 geschieht das Schreckliche, was sich bei Hannelore tief in Kopf und Seele eingrub: Die Gestapo verhaftete Lore Wolf in ihrem Mansardenzimmer, während Hannelore in der Schule war. Lore Wolf war verraten worden.
Die Nazis verschleppten Hannelore nach Deutschland. Doch sie hatte Glück. Den Großeltern gelang es, Hannelore vor dem Heim, das die Nazis für sie vorgesehen hatten, zu bewahren.
Hannelore besuchte eine private kaufmännische Handelsfachschule und machte im März 1942 die Stenotypistinnenprüfung. Sie fand eine Anstellung. Bei der Auslandsabteilung der Gestapo in Stuttgart. Das ging natürlich nicht lange gut. Die Nazis merkten, wer Hannelore war. Sie musste sich weiter durchschlagen.
Hannelore hielt über diese Zeit bis zur Befreiung im Mai 1945 stets den Kontakt zu ihrer inhaftierten Mutter, egal ob in Frankfurt, Marburg oder Ziegenhain. Es gelang Hannelore, ihrer Mutter ein Tagebuch zu besorgen, das dickste, was sie auftreiben konnte, 145 Seiten. Ihrer Mutter gelang es, dieses Tagebuch aus dem Zuchthaus in die Freiheit zu retten. 40 Jahre später wurde daraus das Buch „Ich habe das Leben lieb“.
Hannelore, zwanzig Jahre alt als der Krieg vorbei war, ging nun ihren Weg. Im März 1949 macht sie ihr Abitur und begann ein Studium der Kulturwissenschaften in Frankfurt. Das wurde ihr ermöglicht durch ein Stipendium der Stiftung „Arbeiterjugend soll studieren“. Das Studium musste sie krankheitsbedingt im Herbst 1950 abbrechen. Hannelores Körper und Seele forderten endlich die Aufarbeitung dessen, was ihr in ihrer Kindheit und Jugend widerfahren war. Aber es war nicht die Zeit und nicht die Gelegenheit, sich in psychologische Behandlung zu begeben.
Hannelore, körperlich wieder genesen, heiratet 1951 Karl Tuttas.
Ab 1960 arbeitete sie S. Fischer Verlag, als Sekretärin und dann als Sachbearbeiterin in der Werbeabteilung des Verlages.
Derweil betrieb sie auch den Kampf um Entschädigung. Erstmals 1950 machte sie ihren Anspruch wegen „Schadens in der Ausbildung“ – so die Amtssprache – geltend. Dieser Anspruch wurde „wegen des Fehlens der Verfolgteneigenschaft“ abgelehnt. Am 28. August 1973 – also 23 Jahre nach ihrer ersten Beantragung – erging endlich ein positiver Bescheid. Georg Merle und Karl Schild, als Mitarbeiter der VVN hatten Hannelore vor der Entschädigungsbehörde Wiesbaden erfolgreich vertreten.
Am 20. April 1963 gebar sie ihre Tochter Anja.
Die Ehe der Tuttas ging auseinander.
1969 heirateten Hannelore und Alfred Steffens. Sie zog mit Anja zu Alfred und seiner Tochter Karin nach Ruppertsheim im Taunus. Hannelore lebte dort zurückgezogen. Möglich, dass sie versuchte, in dieser Zurückgezogenheit ihr Kindheitstrauma zu verarbeiten…
Hannelore und ihre Mutter Lore verband eine tiefe, innige Liebe. Die Umstände ihrer Leben – Terror und Verfolgung des deutschen Faschismus – erlaubten es ihnen nicht, diese Liebe zu leben. Nach 1945 sehnte sich die Mutter nach ihrem geliebten Kind, sie fand eine erwachsene Frau.
In den 90er Jahren fand Hannelore den Weg zurück aus dem Taunus nach Frankfurt. Dort verstarb sie am 9. Februar 2019.
Mehr zum Leben von Hannelore Steffens: Trauerrede der VVN-BdA am 21. Februar 2019