Otto Ebel

Otto Ebel (1910 bis 1994)

Otto_1… wurde am 16. November 1910 in Heubach/Miltenberg in Main-Franken geboren. Er war das jüngste Kind und hatte drei ältere Geschwister. Alle vier wurden ab 1916 als Halbwaisen von ihrer Mutter Josephine, geborene Kieser großgezogen. Der Vater, Heinrich Ebel, starb 1916 an den Folgen seiner Kriegsverletzungen aus dem 1. Weltkrieg.
 
Otto Ebel hat in Frankfurt am Main Versicherungskaufmann gelernt und war von 1932 bis zum 8. Oktober 1940 als Angestellter bei der Gothaer Feuer in Frankfurt tätig. 1928 trat er aus der Katholischen Kirche aus und wurde im gleichen Jahr Mitglied der KPD. Über sein Schicksal während des Hitlerfaschismus hat er einen Bericht geschrieben (36 Jahre später), aus dem wir im Folgenden zitieren:
 
„(Ich kam) als Dreißigjähriger 1940 für „Vorbereitung zum Hochverrat“ für vier Jahre ins Zuchthaus Amberg/Oberpfalz und nach Verbüßung und drei Monate Zwischenhaft in Frankfurt/M erst im Dezember 1944 ins KZ Sachsenhausen.“
 
Bereits als 18-jähriger erkannte ich den Klassencharakter der bestehenden Ordnung. Die schwere Wirtschaftskrise, die 1929 über die Welt hereinbrach, die sozialen Erschütterungen bei bis zu sechs Millionen Arbeitslosen in den Folgejahren und das Auftreten der faschistischen Garden führten dazu, mich politisch zu organisieren. Ich erlebte die Fehleinschätzung der Gewerkschaften und der SPD, die glaubten, das Auftreten Hitlers sei nur eine vorübergehende Erscheinung. Die … Spaltung der Arbeiterschaft, die … das Zusammengehen von KPD und SPD verhinderte, führte zum Machtantritt Hitlers und zur Zerschlagung aller Gegner des faschistischen Regimes.
 
Wir versuchten in illegaler Arbeit die Organisation aufrecht zu erhalten und die Menschen durch Druckschriften aufzuklären. Nach dem Reichstagsbrand 1933 verbreiteten wir Aufklärungsschriften mit der mutigen Rede des bulgarischen Angeklagten Dimitroff vor dem Reichsgericht gegen das System und die Lügen, dass Kommunisten den Reichstag angesteckt hätten. Dabei ist meine Schwester Luzia verhaftet und bereits damals zu einem Jahr Zuchthaus verurteilt worden. Das war ein Verbrechen nach den Strafgesetzen des Naziregimes.
 
Am 10. Januar 1940 wurde ich als einfacher Soldat zu einem Nachrichten-Ersatztruppenteil in Marburg einberufen. Bei Ausbruch des Krieges gegen Frankreich im April 1940 marschierte ich mit meiner Ersatzkompanie als Dolmetscher durch Belgien und Frankreich. Bei Überqueren der Stellungen des Krieges von 1914-1918 sah ich die Trümmer des 1. Weltkrieges, überwachsen mit Bäumen und Sträucher neben den neuen Trümmern des sinnlosen 2. Weltkrieges, in den das deutsche Volk von der Hitlerbarbarei getrieben wurde. Stupide schritt unsere Marschkolonne an diesen Spuren der Unkultur vorbei. Dieser Anblick berührte mich tief. Sollte der Krieg allgemein der Regelzustand in dieser Welt sein und der Frieden nur ein Ausnahmezustand, wie heute wieder von aggressiven Kreisen verkündet wird?
 
Der Krieg gegen Frankreich dauerte nur sechs Wochen. Als der Waffenstillstand verkündet wurde war ich nicht mehr gewillt, mich der formalen Ausbildung zu unterziehen, ich meldete mich magenkrank und wurde nach Neuss am Rhein ins Lazarett überführt. Dort befand ich mich, als ich nach vier Wochen verhaftet und nach Frankfurt am Main überführt wurde. In der Gutleutkaserne bin ich dann aus dem Wehrdienst entlassen worden. Welch ein Gefühl, die verhasste Uniform ablegen zu können. Ich warf mich auf die Pritsche in der Zelle. Mochte kommen was da wolle, ich war wieder Zivilist.
 
Von 1940-1944 war ich in der Zuchthaushaft zwar nicht in Aufhebung NS-Urteileinem mittelalterlichen Burgverlies, wohl aber unter kriegsbedingt verschärften Bedingungen eingesperrt. Kahlgeschoren, ein Mindestmaß an Verpflegung, stets auf der Suche nach zusätzlich Essbarem mit 35 Gefangenen in der Wäscherei der Anstalt.“

 
„Tröstlich war es, dass ich hier (gemeint ist das Zuchthaus Amberg) den Schrecken des Krieges an der Front und den Bombenangriffen auf die Städte entgehen konnte. Unsere Aufseher waren ein älterer katholischer Werkmeister und ein SA-Nazi namens Zenker, er war der Schrecken der Stadt Amberg. Nach Kriegsende soll er gefasst und erschlagen worden sein. Der alte Werkmeister war offensichtlich Systemgegner, er war gütig und verständnisvoll. An den Feiertagen steckte er mir heimlich ein Stück Kuchen zu.“
 
„Das Kriegsende hatte ich in Amberg nicht mehr erlebt. Ein guter Kamerad aus Frankfurt, der Ende 1944 dort eingeliefert worden war berichtete mir, dass nach Einmarsch der Amerikaner sämtliche Zellen geöffnet wurden und die Politischen die Leitung des Zuchthauses übernommen hatten. Fink und die gewalttätigen Wachmänner wurden in die Zellen gesperrt. Sie wurden genauso wie wir gepflegt und behandelt, es soll eine Genugtuung gewesen sein, sie im Hofgang in Einzelreihen spazieren geführt zu haben.
 
Am Ende meiner 4-jährigen Gefangenschaft in Amberg ging das Rätselraten los, ob ich am 1. August 1944 nach Ende der Haftzeit entlassen werden würde. Die Kriegsereignisse zeigten das Ende des „Tausendjährigen Reiches“ an. Die Chance entlassen zu werden war sehr günstig. Ich wurde nach Frankfurt am Main überstellt, wo ich drei Monate in Ungewissheit blieb.
 
In diesen Monaten erlebte ich erstmals Bombenangriffe nachts in einer Zelle in der Hammelsgasse. Ich war mit zwei jungen Leuten zu dritt, die wegen Äußerungen gegen das Hitler-Regime eingesperrt waren. Sie hatten mehr Informationen über das Kriegsgeschehen und die Lage draußen.“
 
„Mitte Dezember 1944 war meine Zwischenhaft in Frankfurt beendet. Ich wurde mit der Bahn auf Schub mit noch zwei anderen Gefangenen ins KZ gebracht. Auf unserer Fahrt kamen wir nach Weimar, wo die beiden Mitfahrer aussteigen mussten, sie kamen ins KZ Buchenwald. Was hatten die Gestaposchergen mit mir vor? So allein im Abteil beschlich mich ein Gefühl der Ungewissheit. Doch bei diesem Stand des Kriegsgeschehens konnte ich nicht weit nach Osten hin transportiert werden. Es ging also nach Berlin ins KZ Sachsenhausen.“
 
„In unserem Bauzug waren 500 Häftlinge verfrachtet, meist Polen darunter 48 Deutsche und einige Franzosen und Italiener, ein buntgewürfelter Haufen von Menschen, arme Gestalten, namenlos, in Viehwagen gepresst zum Arbeitseinsatz für die Reichsbahn. Wir sollten zerbombte Gleise zuschütten und die Schienenwege passierbar machen. …
 
… Der Bauzug bestand aus 20 Waggons, ich war im Waggon 2. Angehängt an den Zug befand sich ein Revierwagen für Kranke und Arbeitsunfähige. Das war der Todeswagen. Einmal krank dort eingewiesen bedeutete den sicheren Tod, da die unterernährten Menschen dort nur noch Wassersuppe erhielten, Brot war entzogen, es gab keine medizinische Betreuung.

 
Wer waren nun die Menschen in meiner Schicksalsgemeinschaft im Waggon No. 2 der 12. Baubrigade? Ich erinnere mich nur an viele namenlose Polen, einen älteren russischen Uhrmacher und an einen jungen polnischen Studenten, mit dem ich später in Österreich fliehen konnte. Obwohl wir uns alle in der Enge des Waggons so nahe waren, erfuhr ich wenig über diese Menschen, die Gründe ihrer Inhaftierung, die Vorgeschichte, nichts über ihr Leben und ihre Lieben in der Heimat. Die Sprachbarrieren, der Tagesablauf und die Härte des täglichen Kampfes ums Überleben ließen keine Zeit, kein Gedanken hier zu forschen. Im Grunde stand ich, rundum von Leidensgenossen umgeben allein, so ganz auf mich selbst gestellt, ein Einzelschicksal wie so viele von so wenig Überlebenden des faschistischen Terrors. Es kostet Mühe, nach 36 Jahren die Einzelheiten ins Gedächtnis zurückzurufen.“
 
Irgendwann 1945 gelangte Otto Ebel nach Linz.
 
„Am dritten Tag unserer Bleibe (zwischenzeitlich in Linz) rückten die Amerikaner näher, in der letzten Nacht auch der Kanonendonner. … Ein Soldat kam in dieser Nacht in unsere Kammer und holte Hafer aus einer Kiste für ein Pferdegespann, mit dem der Landser Munition für die Artillerie aus einem nahen Pulverturm holte. Wir verhielten uns so ruhig, dass der Soldat uns gar nicht bemerkte. Die deutschen Kanoniere feuerten laufend auf die im Donautal gelegene Straße, auf der die Amis vorrückten. Dazwischen hörten wir dumpfe Schläge der amerikanischen Batterie. Die Kugeln flogen über das Gebäude. Offensichtlich lagen wir im toten Winkel des Beschusses. Als der Morgen kam herrschte totale Stille. Die Sonne stieg am Himmel und im Donautal rasselten die Panzer. Es war der 2. Mai 1945 und die endgültige Befreiung der Nazi-Herrschaft.“
 
„Die Tage des Abschieds kamen näher. Etwa Ende Juni 1945 rollten die ersten Güterzüge voll mit versprengten und heimatlosen Menschen nach Deutschland. Ich entschloss mich, meine Habseligkeiten zusammenzupacken und die Heimreise nach Frankfurt/M anzutreten. Meine Freundin mitzunehmen konnte ich nicht wagen, da ich über meine eigenen Verhältnisse im zerbombten Frankfurt/M noch keine Kenntnisse hatte. Ein Lebenszeichen von mir über die „Sanitäre Suisse“ an meine Mutter und Geschwister kam exakt ein Jahr nach meiner Absendung zu Hause an, als ich bereits zurück war.
 
Mich rührte der Abschied von meiner jungen Freundin sehr, denn sie besaß ein armes Elternhaus und selbst fast nichts, was sie ihr Eigen nannte. Um meine Zukunft bangte mir nicht. Diese Armut zurückzulassen lastete auf mir.“

 
OttoWie für viele war es eine Odyssee, bis er endlich wieder in Frankfurt war. Nach 1945 war er bis zum 30. April 1947 wieder als Angestellter bei der Gothaer Feuer tätig. Ab 2. Januar 1948 arbeitete er bis zu seiner Pensionierung 1975 als Kreditprüfer der Landesprüfstelle Hessen (heute: Hessische Treuhand GmbH). Im „2. Hauptberuf“ hat er zusammen mit seiner Frau Hildegard ab Mai 1947 eine Versicherungsagentur der Gothaer aufgebaut. Er blieb Mitglied der KPD, ab 1968 bis zu seinem Tod Mitglied der DKP. Seit Gründung der VVN war er auch dort Mitglied.
1991 wurde ihm die Johanna-Kirchner-Medaille der Stadt Frankfurt verliehen.
 
Otto Ebel ist am 11. März 1994 in Frankfurt am Main im Kreis seiner Familie gestorben.
 
Quellen: Werner O. Ebel hat die biographischen Daten beigesteuert; Otto Ebels Bericht „REISE INS UNGEWISSE – WIE ICH DEN HITLER-FASCHISMUS ERLEBTE UND ÜBERLEBTE“ ist im Besitz seiner Tochter Sonja Ebel-Eisa und seines Sohns Werner O. Ebel. Eine Kopie liegt im Archiv des Studienkreises Deutscher Widerstand 1933 bis 1945 in Frankfurt und kann dort eingesehen werden.
 
Fotos: Familie Ebel